Die Pest in Bürgstein, Zwickau und Kunnersdorf (1680)

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Mario
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Die Pest in Bürgstein, Zwickau und Kunnersdorf (1680)

Beitrag von Mario »

Beiträge zur Geschichte der Pest 1680 in Bürgstein, Zwickau und Kunnersdorf, sowie des Pestkirchhofes
(geschildert von F. Puhl jun.)

Die Pest, jene furchtbare, verheerende Epidemie, fast die einzige Krankheit, gegen welche selbst die moderne Heilkunst vergebens kämpft, wird, Dank den trefflichen Vorkehrungen gegen dieselbe, sogar in dem Lande, in welchem sie verhältnismäßig am häufigsten auftritt, in Ägypten, nur selten mehr beobachtet. Anders war es selbst im Herzen Europas, in Deutschland und Österreich vor zwei Jahrhunderten bestellt; damals tauchte bald hier, bald dort die Pest, welche der Volksmund charakteristisch "der schwarze Tod" genannt, auf, verwüstete aber gewöhnlich nur einzelne Dörfer und Städte, um nach konsequent durchgeführter Absperrung der betroffenen Orte wieder langsam zu verschwinden.
Bürgstein wurde ebenfalls in jener Zeit von der Pest heimgesucht; sogar zweimal in einem Jahre, und zwar 1680; gleichzeitig wütete der schwarze Tod auch in Zwickau und Kunnersdorf. Im Nachfolgenden biete ich die Geschichte der Pest in diesen drei Orten:

1. Bürgstein
Aus dem Jahr 1680 bieten die pfarrämtlichen Matriken Bürstens folgende Personalien:
Grundherr war Ferdinand Hroznata Kokorowec, Graf v. Kokorow. Wendel Lammel war Amtsschreiber und Burggraf von der Herrschaft Bürgstein, Johann Ebertwar Kornschreiber. Als Hauptmann amtierte Johannes Georg Mylander. Ortsrichter war Johannes Müller, Schulmeister Adam Zdenko Hollobrunsky, Müller Mathes Mitschke, Luft- und Ziergärtner Georg Zebisch, alle in Bürgstein. Als Arzt wird Christian Frentzel in Kommt genannt. Als Richter der eingepfarrten Dörfer figurieren: Johann Heinrich Hufnagel in Rodowitz, Hans Mitschke in Kommt, Christoph Thomas in Arnsdorf und Hans Schiele in Wellnitz.
An Sammlungen statistischer Daten, wie sie heutzutage üblich, dachte damals Niemand, und wenn einer der Chronisten jener Zeit den ungefähren Umfang der schrecklichen Verheerung skizzieren will, so gibt er an, bis zu welchem Hause der schwarze Tod alle Menschenleben vernichtet habe. Wir müssen daher bei Aufzeichnungen der Geschichte der Pest nur den Gedenkbüchern folgen, in welchen dieselbe besprochen wird. Für Bürgstein ist in dieser Beziehung nur das Memorabilienbuch der Komter Kapelle, sowie das, 1836 von meinem Großvater, dem damaligen Bergsteiger Schulmeister Anton Puhl angelegte Gedenkbuch der Gemeinde Bürgstein - von Bedeutung. Das erstere meldet:
Von der Pest in Bürgstein 1680 (aus dem Memorabilienbuch der Komter Kapelle)
"Dieses gemeldete Jahr 1680 hat die Pest in Bürgstein zweimal sehr heftig gewütet. Das erste Mal sind im Oberdorf bis zum Hauserbauer (gegenwärtig Nr. 71) allwo am Wege ein Kreuz zu Ehren der heiligen Rosalia aufgerichtet worden, alle erwachsenen Menschen gestorben, für deren Leichen ein Pestkirchhöfel nächst dem Bretteiche in der Bergsteiger Heide eingeweiht."
Dieses Kreuz stand noch zu Anfang unseres Jahrhunderts an der Stelle, wo der Fuhrwerk zum Hofe des Hauserbauers abzweigt. In unmittelbarer Nähe, vor dem Hause des Gottlieb Schmidt, hing auf einer Pappel ein Bild der heiligen Rosalia; Bild und Kreuz sind seit mehr als 50 Jahren verschwunden.
"Dasselbe (nämlich das Pestkirchhöfel) war mit einer Mauer umgeben und auf demselben ein Kreuz errichtet."
"Das zweite Mal wütete die Pest bis unter Beckels Wohnhaus Nr. 109, nächst dem Brillenmacher Gören, wo ebenfalls ein Kreuz aufgerichtet. Zur selbigen Zeit hat sich Bürgstein mit allen gesamten Kirchenkindern die heilige Rosalia zur Patronin erwählt und mit einem Gelübde verbunden: Ihren Festtag feierlich zu halten.
Auch wird zur Danksagung den 8. September an Maria Geburtstage eine Prozession von Bürgstein aus nach Leila in die Frauenkirche alljährlich geführt."
Zu jener Zeit waren folgende Orte nach Bürgstein eingepfarrt: Arnsdorf, Kommt, Pihl, Rodowitz, Wellnitz, Ohr, Zwitte. Schwoika und Bokwen gehörten in das Doberner Kirchspiel. Diese beiden Dörfer, sowie Haida, Johannesdorf und Maxdorf, die dem 18. Jahrhundert ihre Gründung verdanken, feiern heute diesen Gelübdnistag ebenfalls. Das Komter Kapellengedenkbuch meldet weiter: "Anno 1780, nach hundert Jahren, wurde zur Jubiläumszeit eine volkreiche Prozession in den Nachmittagsstunden aus der Bergsteiger Pfarrkirche zu dem Pestkirchhöfel geführt, allwo etliche Vaterunser von dem gesamten Volke abgebetet und endlich in der Pfarrkirche der Segen mit dem hochwürdigsten Gute gegeben wurde. Diese Prozession wurde gehalten am ersten Sonntag nach Rosalia. Anno 1810 wurde auf dem Pestkirchhöfel eine Reitschule (soll wohl Exerzierplatz heißen) für die Husaren errichtet. Kreuz und Mauern standen damals noch."
Dieser Gottesacker, welcher der Chronist mit dem sonderbaren Deinutivum "Pestkirchhöfel" bezeichnet, wurde im Jahre 1759 durch ein neues Kreuz geziert, dessen Kosten, samt Einweihung, 6 Fl. betrugen, welchen Beitrag die gesamten Kirchspielgemeinden deckten; auf Bürgstein entfiel nach der Gemeinderechnung aus jenem Jahr 1 Fl. 30 fr.
Das eingangs erwähnte Gedenkbuch der Gemeinde Bürgstein weiß über die Pest zu berichten:
"Im Jahre 1680 wurde diese Gegend von der damals in Böhmen allgemein grassierenden Pest ebenfalls heimgesucht. Auch der Ort Bürgstein, sowie alle benachbarten Dörfer blieben nicht verschont. Nach einer, bis auf die gegenwärtige Zeit erhaltenen Sage, hat ein Müllerbursch, der in dieses Dorf einwanderte und den Reststoff schon in sich trug, diese verheerende Seuche nach Bürgstein gebracht; derselbe kehrte in der oberen Mühle ein, und starb gleich in der ersten Nacht; auch wurden schon nach einigen Tagen die Bewohner der Mühle von diesem Pestübel befallen und starben ebenfalls dahin und so breitete sich dieses schreckliche Übel immer weiter aus und holte sich seine Opfer. Es war eine Zeit der größten Angst und Bestürzung. Es wurde ein eigener Platz zur Beerdigung der an der Pest Gestorbenen angewiesen; dieser Platz war in der Heide zwischen Bürgstein und Maxdorf (in geringer Entfernung vom Bretteiche) und wurde der Pestkirchhof genannt. In der Gemeinde Bürgstein sollen 30 Personen bei der damals geringen Einwohnerzahl an der Pest gestorben sein."
In dem Gedenkbuch ist ferner des Gelöbnisses zu Ehren der heiligen Rosalia gedacht, welches schon das vorerwähnte Memorabilienbuch der Komter Kapelle ausführlich behandelt. Interessant ist die Bemerkung, daß nicht nur Bürgstein, sondern auch alle benachbarten Dörfer von der Pest heimgesucht wurden.
Die Erinnerung an jene Schreckenszeit, in welcher die schrecklichste aller Epidemien Dörfer und Städte aussterben machte, lebt in Traditionen noch heute fort und die heilige Rosalia, durch deren Fürbitte (der Legende nach) dem Würgen des "schwarzen Todes" Einhalt geschah, ist jetzt noch Gegenstand fromm gläubiger Verehrung unserer Landbewohner. Ihr Name ward häufig den Mädchen in der Taufe gegeben, doch ist man in neuerer Zeit wieder davon abgekommen, und seltener hört man jetzt den Ruf "Rusale"; - in dieses nicht besonders poetisch klingende Wort hat nämlich der Volksmund "Rosalia" verwandelt. Alljährlich am 4. September wird der Gedächtnistag der Heiligen in den Kirchen von Bürgstein, Haida, Langenau und Wellnitz festlich begangen. Der heurige Gelübdnistag, als 200jährigesJubiläum, wurde in allen diesen Kirchen mit besonderer Festlichkeit gefeiert. In Bürgstein hielt Herr P. I. Schröter aus Niemes die Festpredigt, in welcher der Drangsale jener längst verschwundenen, aber nicht vergessenen Zeit in erhebender Weise gedacht wurde!

2. Zwickau und Kunnersdorf
Über die Geschichte der Pest in jenen Orten meldet das Gedenkbuch der Gemeinde Kunnersdorf:
"Anno 1680 den 6. September ist durch Zuschickung Gottes allmächtigen die Strafe oder Ruten des Herrn (ist die Pestilenz) in dem Stadtel Zwickau wie auch bei uns (in Kunnersdorf) eingefallen; ist zum Ersten entsprungen in dem Stadtel Zwickau bei dem Herrn Wentzel Frischen, Rathsverwandter und Malzverwalter ist er und sein Weib Rosalia in einer Stunde von der Welt verschieden am Tage früh zwischen 8 und 9 Uhr und hernach sind die Kinder mit allen Vorrat gegen Balles Berg in eine Hütten hinausgeschickt worden und hernach in 11 Tagen vier Söhne und zwei Töchter alldort nach und nach im Herrn von dieser Welt verschieden und hat alsdann sowohl hier, (nämlich in Kunnersdorf) als in Zwickau diese Strafe eine Zeit gewährt und sind viele Menschen der Zeit alliier verschieden."
Der hier erwähnte Balleberg ist eine, westlich von Zwickau gelegene Anhöhe, welche an das Rodowitzer Revier grenzt. Die Stelle, wo die im Jahre 1680 auf dieser Anhöhe an der Pest Gestorbene beerdigt wurden, ist noch heute am Fuße des Berges auf einer kleinen Wiese sichtbar; diese Wiese wird vom Volke"die Sterbetelle" genannt. Der Chronist fährt fort: "Die Tage des heiligenErzengel Michael hat das ganze Zwicker Kirchspiel ein Gelübde getan und geschworen, den Tag den heiligen Sebastiani vorher zu fasten und hernach denselben Tage zu beichten und kommunizieren, damit Gott dieses Kirchspiel vor Pest behüte wolle und die Nachkömmlinge."
Die Statue nächst der Stadtmühle in Zwickau soll ein Erinnerungszeichen an die Pest sein und ihre Errichtung aus der Zeit kurz nach Erlöschen derselben datieren.
Zwickau und Kunnersdorf hatten ebenso wie Bürgstein eigene Friedhöfe für die durch den "schwarzen Tod" dahin Gerafften. In oder vielmehr bei Zwickau befand sich derselbe unweit des jetzigen bürgerlichen Bräuhauses, an der Straße zwischen Zwickau und Kleingrünau.
In Kunnersdorf zeigt man in der Nähe der heutigen Kirche das "Pestfleckel", welches freilich durch nichts mehr, als durch den Namen an seine einstige Verwendung als Pestkirchhof erinnert.


3. Der Bürgsteiger Pestkirchhof
Wie ich schon im ersten Abschnitt anführte, wurde im Jahre 1759 auf diesem historisch denkwürdigen Gottesacker ein neues Kreuz errichtet, das mit damals üblichem großen kirchlichen Pomps eingeweiht worden war. 28 Jahre später, Anno 1787, waren die Bergsteiger genötigt, auf diesem Friedhöfe wieder Beerdigungen vorzunehmen. Es meldet dies uns ein Chronist jener Zeit, der Spiegelhändler Augustin Ronge, in seinem Tagebuch. Am 10. Juni jenes Jahres wurde nämlich der alte Bürgsteiner Kirchhof, der rings um die Kirche angelegt gewesen war, aufgelassen, und der Pestkirchhof aufs neue eingeweiht, da der neu zu errichtende, auf den Pfarrfeldern gelegene Gottesacker erst am 17. Juni fertig gestellt und eingeweiht wurde. In diesem Zwischenraume von einer Woche mussten mehrere Leichen auf dem Pestkirchhofe begraben werden; der erste der hier Beerdigten war Franz Riedle aus Bürgstein.
Seit jener Zeit unbeaufsichtigt, verfielen Kreuz und Mauern, besonders als die Husaren, den umzäunten Platz als Exzerzierfeld benützend, auf den Gräbern ihre Pferde tummelten; und als 1837-38 der hohe Wald, der den verfallenen Friedhof umgab, ausgerodet wurde, vernichtete man auch die letzten Spuren desselben. Der Landmann führt jetzt Pflug und Egge über den Gebeinen seiner, durch den "schwarzen Tod" dahingerafften Vorfahren. Bürgstein ist reich an Denkzeichen der Pest - ich erinnere hier nur an die Pestsäule unterhalb der Samuels Höhle, an die Wahrzeichen des melzerhofes, die Statue der heiligen Rosalia auf der Kleisbachbrücke u.a.m. - aber gewiss wäre es nur ein wohlbegründeter Akt der Pietät, den Wanderer durch ein Monument, und sei es auch nur ein einfaches Steinkreuz, auf die traurige Bestimmung hinzuweisen, die jener Fleck Erde vor zwei Jahrhunderten hatte.
Bevor ich schließe, will ich noch eine tragikomischen Episode erwähnen, welche auf dem Pestkirchhofe spielte und die ich nach der Erzählung eines Bergsteiger Gewährsmannes, des Herrn Ludwig Gerthner, in Kürze hier wiedergeben:
"Bis in das erste Viertel unseres Jahrhundertes wurden in Zwickau alljährlich jene Evangelienstellen dramatisch aufgeführt, welche von dem Leiden und Sterben Christi handeln. Diese Vorstellungen fanden immer Karfreitag statt und dürften im Großen und Ganzen ähnlich inszeniert gewesen sein, wie die seit Jahrzehnten hochberühmten Passionspiele in Oberammergau. Die Vorstellungen fanden jedoch nicht in abgeschlossenem Raume, sondern auf einer, mitten auf dem Marktplatze erbauten Bühne statt. Von dieser Bühne bewegte sich nach dem ersten Akte, der bis zur Geißelung Christi reichte, der Zug nach dem sogenannten "Kalvarienberge", wo die Kreuzigung als zweiter Akt stattfand. Das Betreten der Stadt war an jenem Tage nur durch die Stadttore erlaubt und musste an denselben ein bestimmtes Entree entrichtet werden.
Um das Jahr 1775 besuchten einst auch einige Bergsteiger Knaben - unter denen der Vater meines Gewährsmannes - das Karfreitagsspiel, dessen wahrheitsgetreue Darstellung auch auf diese jugendlichen Gemüter seines Eindruckes nicht verfehlte, so daß sie ebenfalls eine solche Vorstellung zu veranstalten beschlossen. Kein Platz konnte dazu geeigneter sein, als der selten von eines Menschen Fuß betretene Pestkirchhof, wo übrigens auch das damals noch vorhandene Kreuz den Mangel der wichtigsten Dekoration ersetzte. Hauptsache war natürlich die Kreuzigungsszene und diese sollte nun vor allen Anderen geprobt werden. Einer der Knaben wurde mit Stricken an das Kreuz befestigt, während seine Kameraden unten den weiteren Verlauf der bekannten Kreuzigungsepisode spielten. Die Stricke waren aber zu fest angezogen und als die kleinen Taugenichtse sich durch das Bitten des "Gekreuzigten", ihn los zu machen, nicht stören lassen wollten, erhob dieser ein mörderisches Geschrei, welches die Dramatiker zu seinen Füßen ebenfalls nicht zu verhindern vermochte, ihre Rollen fortzusetzen, bis plötzlich ein Mann, der das Geschrei gehört hatte und herbeigeeilt war, sie arg unterbrach. Die ganze Schar ergriff die Flucht und überließ es jenem Mann, ihren Gefährten zu befreien, der nun den ganzen Hergang erzählte. Die beteiligten Knaben erhielten in der Schule die damals noch usuelle Tracht Prügel. "Nur ich entging diesem Schicksale", erzählte der Vater meines Gewährsmannes, "da ich damals schon die Klosterschule in Haida besuchte; doch waren mir die Passionsspielgelüste gründlich verdorben."

Quelle: Mitteilungen des Nordböhmischen Exkursion Klubs (Band 4, Seiten 30-35)
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