Ein altes Wahrzeichen in Bürgstein
In Lied und Sage haben sich die Schicksale unserer Altvorderen und besonders hervorragender Personen, ihre Sitten und Gebräuche bis auf unsere Tage erhalten, andernteils sind es wieder jene uralten monumentalen Darstellungen oder Bilderreihen, welchen wir hier und da begegnen, die uns ein besonderes Ereignis aus alter Zeit in sinnlicher Weise veranschaulichen.
So gibt es heute im weiten, sowie im engeren Vaterlande gewisse Städte und Orte, welche uns durch ein besonderes "Wahrzeichen" gewissermaßen im Geiste in die Vergangenheit zurückversetzen. Wir aber wollen nicht in die Ferne schweifen, sondern wenden unsere volle Aufmerksamkeit einem anmutigen Orte, dem romantisch gelegenen Bürgstein zu, welcher in der Neuzeit das Wanderziel so mancher Touristen und Naturfreunde geworden ist.
Im oberen Teil des Ortes führt die Straße den Besucher an einem schmucken, einstöckigen Gasthause (zum Felsenkeller) vorüber, in dessen Nähe rechts sich ein primitiver Fahrweg von der nach Zwickau führenden Bezirksstraße abzweigt. Auf diesem Fahrwege gelangt man nach einigen hundert Schritten am östlichen Ende des Ortes in einen von Wirtschaftsgebäuden, Obstbäumen und verschiedenem Strauchwerk umgebenen Bauernhof, welcher durch eine eigentümliche veraltete Bauart samt seinen Nebengebäuden auf ein hohes Alter schließen lässt. Es ist einees jener alten Bauerngehöfte, welche man gegenwärtig nur sehr selten noch findet, da sie immer mehr verschwinden. Das Interesse wird noch mehr erhöht, wenn wir unsere Aufmerksamkeit dem Wohngebäude zuwenden, dessen Vorderwand mit religiösen Bilderreihen geschmückt erscheint. Zur Rechten erhebt sich an der Wand ein großes hölzernes Kruzifix und an einem Balken ist der Name Hans Melzer mit der Jahreszahl 1716 verzeichnet. Mehr nach links fesselt den Beschauer eine eigentümliche Bildserie; auf einer fast ovalen Tafel erblickt man einen Totenkopf von einer Lilie umgeben; um das Ganze zieht sich eine in Holz erhabene Schrift, welche folgenden sinnigen Vers zum Texte hat.
(Oberhalb dem Totenkopfe):
"O ihr alle, die ihr vorübergeht,
Seht, wie die Sache mit uns besteht.
Wie ihr jetzt seiend Alle,
Waren wir auf Erden;
Wie wir anjetzo seiend,
Also werdet ihr auch bald werden."
(unter dem Totenkopfe):
"Hin geht die Zeit,
Her kommt der Tod.
O Mensch, tue Recht
Und fürchte Gott."
An dem unteren Rande der Holztafel befinden sich ferner noch die Buchstaben I-M, sowie an einem Tragbalken der Name Josef Melzer Anno 1773.
Nach dem Ursprung dieser eigentümlichen religiösen Darstellung forschend, vernimmt man im Orte folgende Einzelheiten. Zur Zeit der großen Pest (1680) wurde der obere Teil von Bürgstein schwer heimgesucht und sollen in diesem Hause allein neun Personen der grausamen Epidemie erlegen sein. Diese Familie führte den NamenSchneider, und soll der einzig Überlebende dieses Hauses, seines Zeichens ein Schuhmacher, aus Furcht und Schrecken das Weite gesucht haben, so daß er erst nach vielen Jahren in seine alte Heimat Bürgstein zurückkehrte. Die Leichen der erwähnten neun Personen wurden in der Nähe des Wirtschaftshofes begraben, und zwar zwei hinter der Scheuer, zwei, wo sich der Weg nach Zwickau und Lindenau teilt, und die anderen fünf auf dem sogenannten Fuchsberge, welcher heute mit schönen, grünen Birken bewaldet ist. Der Großvater des jetzigen Besitzers, Paul Melzer, ließ vor einigen Jahren an dieser Stelle Nachgrabungen vornehmen und stieß dabei auf die Skelette der hier Begrabenen; man fand selbst noch Schuhschnallen, welche sich so ziemlich gut erhalten hatten. Der damals ausgestorbene Wirtschaftshof ging an einen gewissen Melzer, Bauer in Sohr, über, welcher nach Bürgstein zog und zur steten Erinnerung an jene traurige Epoche, die erwähnten religiösen Bilderreihen an seinem Hause anbringen ließ. Noch ist zu erwähnen, daß sich auf einer dieser alten Begräbnisstätten ein hölzernes Kreuz befand, welches aber schon seit vielen Jahren verfallen ist.
In neuerer Zeit gelangte derselbe Wirtschaftshof durch einige kriegerische Szenen, welche sich in dessen Nähe abspielten, zu einer für die Ortsgeschichte besondere Bedeutung. Zur Zeit des französischen Einfalles, 1813, im Monat August, kämpfte in dem Melzer'schen Bauernhof ein tapferer österreichischer Husar mit einem feindlichen polnischen Lanzier, welcher blutige Zweikampf mit der Gefangenschaft des Polen schloß. Am selben Tage fand in nicht gar zu großer Entfernung vom genannten Hofe in den sogenannten "breiten Wiesen" ein lebhaftes Gefecht zwischen Österreichern und Franzosen statt, welch letztere das Gefecht abbrachen, da ein Detachement Russen im Anzug war.
Der Besitzer dieses Hofes, der damalige Ortsrichter Melzer, entging während der feindlichen Invasion nur mit genauer Not einem traurigen Schicksal; er wurde in Folge eines Missverständnisses von den Franzosen als Spion festgenommen, in Gabel vor ein französisches Kriegsgericht gestellt, und hatte es nur der Vermittlung des Fürsten Poniatowski, des kühnen Polenführers und nachherigen Verwandten des Grafenhauses Kinsky, zu verdanken, daß er aus seiner Haft befreit und ihm das Leben geschenkt ward.
So gibt denn dieser alte Wirtschaftshof mit seinen alten Erinnerungen beredtes Zeugnis für die Geschichte des Ortes und seiner Umgebung.
Quelle: Mitteilungen des Nordböhmischen Excursions-Clubs (Band 1, Seiten 22-24)
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