Die Ermordung des Gemeindevorstehers Josef Gerthner

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Mario
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Die Ermordung des Gemeindevorstehers Josef Gerthner

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Die Ermordung des Gemeindevorstehers Josef Gerthner in Bürgstein

(Zur Ermordung des Bürgermeisters Gerthner in Bürgstein) wird der „Boh.“ unterm 8. d. M. berichtet. Wie bereits gemeldet wurde, wurde unser Bürgermeister, der Lederhändler Josef Gerthner, gestern Abends 7 Uhr 30 Minuten ermordet. Der Ermordete, welcher das Ehrenamt eines Bürgermeisters seit 12 Jahren bekleidete, war gestern Nachmittag erst von einer Geschäftsreise heimgekehrt und saß noch um 7 Uhr mit seiner Frau, seinem vierjährigen Töchterchen und einer Enkelin in seinem Wohnzimmer, das zu ebener Erde liegt, beim Nachtmahl. Die Frau stand gegen ½ 8 Uhr vom Tische auf und ging zu dem in einer Ecke stehenden Ofen, als plötzlich ein Fenster klirrte und die Lampe erlosch; eine Detonation war im Zimmer selbst nicht wahrzunehmen. Die Frau machte schnell wieder Licht und sah zu ihrem Entsetzen ihren Mann mit fürchterlich zerschossenem Kinn und Hals im Zimmer liegen. Er war sofort bewußtlos und verschied während seine Frau ihn aufzurichten versuchte, wobei sich das Blut in Strömen über sie ergoß. Zu allem Unglück war sonst niemand im Hause als die Frau und die zwei kleinen Kinder, so daß auch niemand den Mörder verfolgen konnte. Die Nachbarn hatten allerdings die Detonation gehört, glaubten aber, daß im nahen Walde gewildert werde. Als endlich Leute zu Hilfe eilten und den Dikr..tsartzt? Herrn Dr. Dubsky herbeiholten, war der Ermordete längst todt und von dem ruchlosen Mörder, der mit einer entsetzlichen Kaltblütigkeit gezielt haben muß, keine Spur zu finden. Auch für die Motive der That fehlt jeder Anhaltspunkt, doch vermuthet man mit großer Wahrscheinlichkeit Privatrache. Sehr erschwert wurden die Nachforschungen nach dem Mörder dadurch, daß er vom Hause weg, welches nahe am Walde liegt, leicht und ungesehen flüchten konnte; nach der That aber regnete es so heftig, daß die Fußspuren heute früh nicht mehr zu erkennen waren. Wenige Minuten vor dem Morde waren die Gensdarmeriewachtmeister von Leipa und Haida dienstlich bei dem Bürgermeister gewesen und hatten einige Zeit bei ihm im Wohnzimmer gesessen; der Mörder war jedenfalls schon auf der Lauer gestanden und hatte so lange gewartet, bis die beiden Gensdarmen fortgegangen waren. Die Bezirkshauptmannschaft und die Staatsanwaltschaft in Leipa, sowie das Bezirksgericht und die Gendarmerie in Haida wurden sofort telegrafisch verständigt. Vier Gendarmen waren in kurzer Zeit zur Stelle, doch vermochten sie keinen Anhaltspunkt zur Ermittlung des Mörders zu finden. Die Staatsanwaltschaftliche Commission traf heute früh 8 Uhr hier ein. Der Jammer der Familie ist unbeschreiblich. Der Ermordete, welcher im 59. Lebensjahre stand, ein ungemein rüstiger, kräftiger Mann, war seit 6 Jahren zum zweiten Mal verheirathet und hinterläßt aus erster Ehe 4 Kinder, die bis auf den jüngsten Sohn, welcher in Leipa studiert, sämmtlich unverheirathet sind, in zweiter Ehe hatte er eine Tochter, die ihren Vater auf so entsetzliche Weise sterben sah. – Die vorhandenen Steuer- Gemeinde- und Schulgelder wurden bis auf weiteres beim Postamte Bürgstein commissionell verwaltet. Die Agenden des Bürgermeisteramtes führt der erste Gemeinderath Herr Anton Teifel. Die Gemeindevertretung wurde zu einer außerordentlichen Sitzung für heute 2 Uhr nachmittags einberufen.

(Reichenberger Zeitung, Nr. 288, 1891)





(Zu dem Meuchelmorde in Bürgstein)
Aus Zwickau, 9. Dezember, wird berichtet: In Ergänzung meines telegrafischen Berichtes über den an den Gemeindevorsteher von Bürgstein Montag Abends gegen ¾ 8 Uhr verübten Meuchelmorde kann ich Ihnen heute Nachstehendes mittheilen: Herr Gerthner war eben von einer Geschäftsreise aus Tetschen zurückgekehrt und hatte sich kaum an den Tisch gesetzt, um sein Abendessen zu verzehren, als an ihm dieser freche Mord verübt wurde. Mit dem Gesichte gegen das Fenster gekehrt und höchstens 2 Meter von demselben entfernt, waren die Projektile, bestehend aus gelackten? Bleistücken, mit solcher Gewalt Herrn Gerthner in die Brust und das Gesicht gedrungen, daß er, noch den Löffel in der Hand haltend, sofort todt vom Stuhle stürtzte und in die Stube fiel. Von der starken Lufterschütterung war auch die über dem Tische hängende Lampe erloschen. Ihm gegenüber am Tische, also unmittelbar an dem Fenster, durch welches der verhängnisvolle Schuß von dem frechen Mordgesellen abgegeben wurde, hatte sein Enkelkind gesessen. Diesem war der Schuß über den Kopf gegangen, glücklicherweise, ohne dasselbe zu verletzen. Der Knall von dem abgegebenen Schusse war ein so starker, daß er im ganzen Ort gehört wurde. Die im Zimmer gleichzeitig mit anwesende und beim Ofen beschäftigte Frau des Herrn Gerthner hatte von dem Schusse wenig oder garnichts gehört und glaubte anfangs, als sie ihren Gatten vom Stuhle fallen sah, oder vielmehr hörte, da die Lampe gleichzeitig mit erloschen war, es sei ihm unwohl geworden. Sie eilte sofort hin, um ihn aufzuheben, und erst, als sie auf ihre wiederholten Anfragen keine Antwort erhielt und ihr das warme Blut über die Hand rann, gewahrte sie das Unglück. Trotsdem auf den starken Knall sofort Leute und bald darauf auch die Gensdarmerie zur Stelle waren, welche in der Stärke von unseren Mann hindurch die Gegend abstreifte, war es dem Mörder gelungen im dunkel der Nacht über die Felder gegen das sogenannte „Heidebüschel“ hin, bis wohin man die Fußspuren gefunden zu haben glaubte, zu entwischen. Über die Ursache des Attentates herrscht völliges Dunkel. Auch glaubt man allgemein, daß der Mörderkein Dorfbewohner ist, da Herr Gerthner in Folge seines offenen leutseligen Charackters eine allgemein beliebte Persönlichkeit war und schon 14 Jahre das Amt eines Gemeindevorstehers bekleidete. Die That ist offenbar ein Act der privaten Rache, und cirkulieren über die Persönlichkeit des Mörders selbstverständlich nur Muthmaßungen. Übrigends glaubt man auch allgemein, daß es binnen kurzem der Gensdarmerie gelingen wird, den Mordgesellen dingfest zu nehmen, da doch gewisse Anhaltspunkte vorhanden sind. Herr Gerthner war 59 Jahre alt und hinterläßt eine junge Witwe mit zwei noch unversorgten Kindern. Die Theilnahme und das Beileid der Bevölkerung um den Ermordeten ist ein allgemeines. Gestern war bereits eineUntersuchungscommission vom Kreisgerichte Leipa erschienen, um den Thatbestand aufzunehmen.

(Reichenberger Zeitung, Nr. 289, 1891)
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