Aus der Entstehungs- und Stadtgeschichte von Haida

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Mario
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Aus der Entstehungs- und Stadtgeschichte von Haida

Beitrag von Mario »

Haida im leitmeritzer Kreise
von Hackenstein

Inmitten der gräflich Kinsky'schen Herrschaft Bürgstein, eine Stunde von Böhmischleippa, liegt Böhmens jüngste Stadt, die freie Schutzstadt Haida (Heide, Hayde), ein freundlicher, wohlgebauter Ort mit cirka 240 Häusern und beiläufig 1400 Einwohnern. Bis zum Beginne des vorigen Jahrhunderts noch war die Gegend rings mit Haidekraut und Gestrüpp bewachsen und nur ein alter Maierhof, dessen bei den Jahren 1641, 1693 - 95 Erwähnung geschieht, erhob sich an der Stelle der jetzigen Stadt. Die dazu gehörigen Felder und Wiesen waren jedoch nicht ergiebig genug; seine weitläufigen Stallungen enthielten zumeist nur Kleinvieh und der den herrschaftlichen Renten erfließende Nutzen war, verglichen mit den Regiekösten, nur unbedeutend, weshalb man seine Aufhebung und Emphitentifirung? beschloß. Im Frühjahr 1700 vertheilte Peter Franz Graf Kokorzower von Rokorzowa, Herr auf Bürgstein und Luditz?, diesen Hof in Baustellen und gründete so das Dörflein Haida, welches damals 21 Häuser zählte. Haida's freundliche Lage und Wohnlichkeit, so wie mehre der neuen Ansiedlung vom Grafen Kokorzowa und seinem Nachfolger in BürgsteinsBesitze, Grafen Wenceslaw Norbert Oktavian Kinsky verliehene Bevorzugungen und Freiheiten bewogen viele der wohlhabenderen Insassen der Umgebung, namentlich der Dörfer Blottendorf und Langenau, sich da anzukaufen. Dadurch wurde Haida vergrößert und zu einem vorzüglichen Sitze des böhmischen Glashandels gemacht. Den schönsten Aufschwung aber nahm der Ort durch die väterliche Fürsorge des Grafen Joseph Maximilian Kinsky von Chinic und Tetan?, auf dessen Wink sich in kürzester Zeit auf dem Territorium der Herrschaft Bürgstein sieben bedeutende Fabriken erhoben; sein Werk, seine Einrichtung sind: die erste böhmische Spiegelfabrik zu Bürgstein und Wellnitz, die Kattun- und Zinnfolienfabrik zu Bürgstein, eine Hutfabrik zu Pihl, eine Wachsleinwand- und eine Perlenfabrik zu Schwoyka und großartige Kunstwebereien zu Haida. Wenn auch die ganze umliegende Gegend den Grafen Joseph Max. Kinsky als ihren erhabenen Wohltäter ehrt, so war er dies vor allem dem neu aufblühenden Haida, dessen Erhebung zu einer freien Schutzstadt und Begnadigung mit ansehnlichen Privilegien er von der Kaiserin Maria Theresia erwirkte. Unter ihm und durch ihn erhielt Haida eine Postanstalt (1732), 1747 eine Kirche, 1757 ein Kaufhaus für die Weber und Leinwandhändler, 1780 ein Piaristenkollegium und eine Normalschule, später eine eigene Pfarre. Eine unbedeutende Kapelle bestand wol früher schon daselbst, und Eremiten, deren letzter Frater Bonaventura hieß, wohnten an derselben. Graf Joseph Max. Kinsky hatte anfänglich den Plan ein Kapuzinerkloster zu stiften. Die Kaiserin Maria Theresia aber, von diesem Vorhaben unterrichtet, rieth dem Grafen, lieber eines für die Priester der frommen Schulen zu gründen, indem diese, den Unterricht der Jugend eifrig betreibend, seinen Unterthanen ungleich größern Nutzen brächten.
Wenn sich Haida auch seiner, nur einigermaßen großen Vergangenheit zu rühmen hat, erfreut es sich einer ziemlich glänzenden Gegenwart. Der Glashandel steht hier von je in der schönsten Blüthe. Faktoreien und selbständige Handlungen in den meisten Städten Spaniens, Portugals und der Niederlande, in Rußland und der Levante hat Haida noch bis jetzt; selbst im fernen Amerika zu Mexiko, Buenos Ayres, Havannah und Rio-Janeiro. Wol hat durch den Zollverein und den Aufschwung der Glaserzeugung in anderen Ländern, vorzüglich in Belgien und Frankreich, wo man diesem Zweige erneute Aufmerksamkeit schenkt und ihn mit vielem Glücke cultiviert, der böhmische Glashandel einen empfindlichen Stoß erlitten; allein dessen ungeachtet steht das böhmische Glas immer noch auf einem, seines alten ruhmes würdigen Punkte und braucht bis nun noch kein anderes Landes Concurrenz zu fürchten.
Unter Haida's Sehenswürdigkeiten nehmen dessen kirchliche Gebäude den ersten rang ein. Die mit einem hohen schlanken Thurme gezierte Hauptkirche Maria Himmelfahrt, deren kühngespanntes Tonnengewölbe die Aufmerksamkeit des Kenners in Anspruch nimmt, besitzt schöne Altäre von kunstmarmor mit geschmackvollem, reichvergoldeten Schnitzwerk, einige recht gute Altarblätter und interessante Kreuzwegbilder von der Hand eines Haidaers, des talentbegabten Malers Franz Liebich, auch einen reichen kirchenschatz, größtentheils aus Geschenken reicher Handelsherren bestehend, und aus den im letzten Insarrektionskriege? ausgehobenen Klostern Spaniens herrührend. Die Seelsorge ist den Piaristen anvertraut, die hier ein von dem Grafen Joseph Max. und Phillip Kinsky gut dotirtes Kollegium und eine Hauptschule von vier Klassen (derzeit unter der Leitung des Rektors Herrn P. Marzell Steffen) besitzen; außerdem besteht zu Haida auch eine Normalschule, welche, sowie die Kirche, unter dem Patronate der Schutzobrigkeit Bürgstein steht. Die meisten Besuche von nah und fern, erhält der Haidaer Kirchhof *), der, jenem zu Hernhut? ähnlich, durch seine originelle Anlage und geschmackvolle Verzierung wie ein französischer Ziergarten, nicht aber wie eine Stätte des Moders und der Verwesung erscheint. Ein schneckenförmiger Laubgang führt zu ihm hinan, förmliche Gassen, in denen wie in der pompejanischen Gräberstraße sich Monument an Monument reiht, durchkreuzen ihn, ja in der Mitte findet sich ein, einem ringplatze ähnliches Rondeau. Im Hintergrunde erhebt sich eine geräumige, nett gebaute öffentliche Kapelle mit einem Glockenthurme, welche die Gruft dreier angesehener Haidaer Familien in sich schließt; auf ihrem Hochaltar erblickte man eine (leider schlechte) Kopie der Raphaelschen Madonna bella Sebia.
Die Stadt hat zwei Marktplätze von nicht unbedeutendem Umfange, auf deren größerem die erwähnte Hauptkirche und das imposante Stadthaus steht. In letzterem befindet sich das berühmte, durch den Besuch vieler höchsten und hoher Herrschaften (namentlich der meisten Glieder des österreichischen Kaiserhauses) ausgezeichnete Glaskabinett des Herrn Friedrich Egermann. Ein ehemaliges Bestandtheil jenes aufgehobenen Maierhofes, heißt das Haidaer Stadthaus im Volksmunde noch jetzt "der Schuttboden." An Monumenten hat die Stadt nur zwei gute Statuen; eine derselben ist ein Werk des Bürgsteiner Bildhauers Franz Werner. - Es befindet sich hier ein regulirter Magistrat, ein k.k. Straßenkomissariat, ein Finanzcontrollamt und eine k.k. Post. Seit dem Herbste 1843 besteht da ein Dilettanten-Theater, welches aber, trotz dem Bemühen der Direktion, sich noch bei weitem nicht zu dem gelungenen Spiele und guten Namen aufschwang, dessen sich eine vor mehreren Jahren hier bestandenen Dilettantengesellschaft zu erfreuen hatte.

*) Er wurde am 20. Juni 1786 von dem, durch viele von ihm cousirende Anekdoten bekannten Bürgsteiner Pfarrer P. Thomas Rupprecht eingeweiht.

Bild

Quelle: Erinnerungen an merkwürdige Gegenstände und Begebenheiten, verbunden mit Novellen, Humoresken, Sagen und einem zeithistorischen Feuilleton von 1845
Dave
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Re: Aus der Entstehungs- und Stadtgeschichte von Haida

Beitrag von Dave »

Danke für diesen Eintrag Mario. Der erwähnte Maler, Franz Liebich ist mein 4x Ur Großvater.
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